Cannstatter Volksfestzeitung 2018
verkehrs Anfang des 19. Jahr hunderts, als die Waggons von Eisen- oder Straßenbahnen statt durch Lokomotiven oft durch Pferde gezogen wurden. Fürs Ziehen solch schwerer Lasten eigneten sich beson ders die Kaltblüter. Große, mächtige und schwere Gäule, die stoisch ihrer Arbeit nach gehen. Abwertend nannte man sie auch „Ackergaul“, weil sie eben nicht dem Ideal eines eleganten und leicht füßigen Paradehengstes ent sprachen. Auch der Begriff „Brauereigaul“ dient bis heute eher dazu, aus der Idealform geratene Körperteile mensch licher Artgenossen zu ent würdigen („en Arsch, wie en Brauereigaul …“). Heute sieht man diese Arbeitspferde mit der ausgeprägten Muskulatur nur noch selten, sie sind so gar vom Aussterben bedroht. Ihren Job erledigen heute Mo toren. Lediglich bei Festivi täten wie Hochzeiten, Para den oder Festzügen sind sie gefragt, um große Kutschen oder Planwagen zu ziehen. Ihren großen Auftritt haben die Pferde von Landwirt Peter Müller aus Alfdorf alljährlich beim Cannstatter Volksfest. Hier ziehen die Kaltblüter das prächtige Gespann der Braue rei Dinkelacker. „Sind die Fässer voll?“ Einst war der Zweck der Ge spanne tatsächlich, dass sie das Bier aufs Volksfest brach ten. Bei der Masse an Gästen, die heute den Wasen stürmt (rund vier Millionen sind es aktuell, zum Vergleich: Beim ersten Volksfest, das damals nur einen Tag dauerte, wa ren es rund 30000 Besucher), bräuchte man freilich unbe wältigbare Massen an Braue reigespannen. Wie hoch der Bierpreis dann der Rentabi lität wegen wäre, ist eben falls nicht auszudenken. Die Brauereigespanne sind heute nur noch Schmuck – und ge hören trotzdem zum Fest zelt, wie die Schaumkrone zum Maßkrug. „Sind die Fäs ser voll?“ – neben „Darf man die streicheln“ vermutlich die meistgestellte Frage. „Nein!“, so die Antwort, „da ist kein Bier drin, nur Luft.“ Die Fässer sind nur Show – und leer! Ge gen Streicheleinheiten spricht aber nichts, „die Tiere sind lieb und gutmütig“. So sitzt Landwirt Müller also wie einst auf dem Bierlaster und fährt im gemächlichen Schritttempo durch die Stra ßen Bad Cannstatts, so wie schon einst die Bierkutscher. Das Gewicht seines Gefährts, das mit 39 Eichenfässern bela den ist, beträgt fast fünf Ton nen. Wären die Fässer voll, würde sich das Gewicht um weitere acht auf dann 13 Ton nen erhöhen. Angetrieben wird der Lastentransporter in diesem Fall mit sechs PS: Im Einsatz sind sechs von Müllers Percheron-Kaltblütern. „Das schaffen die mit links, die sind für größere Lasten ausgelegt“, berichtet Müller – und in der Tat scheint die Last des tradi tionellen Dinkelacker-Bierwa gens den gutmütigen Rössern nicht viel anzuhaben. In den Straßen Bad Cannstatts traben sie von ihrem Interimsstall auf den Wasen. Percheron-Pferde wiegen rund eine Tonne Aber selbst wenn beim Volks festumzug oder direkt auf dem Fest viele Menschen um sie he rum sind, bringt sie nichts aus der Ruhe. Mit einem Stockmaß von 1,85 Metern und einem Gewicht von rund einer Tonne Ein Anblick, den man auf dem Volksfest nicht missen möchte >> Auch Kaltblüter müssen mal brandaktuelle Neuigkeiten austauschen. >> Furchtlos und treu: Das württembergische Wappen ziert auch die Brauereipferde. >>
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