Cannstatter Volksfestzeitung 2018

Seit wann arbeitet deine Familie in der Schaustel- lerei? Wir sind seit fünf Generatio­ nen unterwegs. Die ältesten Dokumente, die ich bei mir in der Familie habe, die sind von 1858. Das ist eine Rechnung von einem Sattler, der wohl dem Urgroßvater eine neue Zeltplane geliefert hat. Die Schausteller sind ja ein ganz eigenes Volk, die leben unter sich, die heiraten untereinander, eigentlich eine völlig ei- gene Gesellschaft. Warum ist das so? Das ist vielleicht vergleichbar mit einem Wintersportort, wo man gleiche Interessen hat, wo die Touristen dann hereinkommen wie auf dem Volksfest die Besucher und Gäste. Dann heiratet die Toch­ ter vom ersten Haus am Platz vielleicht den Sohn vom Hotel in der Nachbarschaft. So wer­ den Allianzen gegründet. Und aus der Vergangenheit natürlich ist klar, dass die Schausteller manchmal ein bisschen schief angeschaut wurden, und da hat man sich zusammengeschlossen. Das ist vielleicht die Erklärung da­ für. Gibt’s Nachwuchsproble- me bei den Schaustellern? Nein, es gibt keine Nach­ wuchsprobleme. Im Gegen­ teil. Wir müssen versuchen, das Problem zu lösen, dass viele Schaustellerkinder auch wieder Schausteller werden möchten. Aber man sieht es ja hier auf dem Cannstatter Volksfest: Es gibt ein Aus­ wahlverfahren und es kann nur eine gewisse Anzahl an Schaustellern auf dem Platz dann auch aufbauen. Und dann müssen wir schauen, dass auch die nächste Gene­ ration untergebracht werden kann. Wir versuchen, unsere Jugendlichen zu qualifizieren, zu zertifizieren, dass sie even­ tuell im Bereich der Freizeit­ branche eine andere Aufgabe erfüllen können. Jetzt konkurrieren die Volksfeste – wo ihr dabei seid, sie als immaterielles Kulturgut in die UNESCO-Liste eintragen zu las- sen – ja stark mit den Freizeitparks, die doch für wenig oder für einen gewissen Eintritt einiges bieten. Das stelle ich mir schwer vor, dass da die Schaustellergeschäfte mit einer Wurfbude, mit einer Schießbude in der Gesamtheit eine Konkur- renz bieten können. Also mit wenig Eintrittspreis, das mag ich jetzt mal dahinge­ stellt lassen, weil überm Volks­ fest steht erstmal „Eintritt frei“. Wenn man auf den Wa­ sen geht, braucht man nicht einen Cent zu bezahlen. Man kann drübergehen, man kann sich das Feuerwerk anschauen, das die Schausteller finanziert haben, man kann in die Zelte hineingehen ohne Eintritt, man kann die Musik anhören etc. Und auch die Großeltern, die mit den Kleinkindern da sind, brauchen kein Geld aus­ zugeben. Wenn der Enkel Spaß auf dem Karussell hat, haben die Großeltern automatisch auch den Spaß. Und jeder kann selber dosieren, keiner ist ge­ zwungen, 30 Karusselle zu be­ nutzen, jeder nimmt sich das heraus, was er gerne möchte. Wie im Supermarkt – was man vielleicht nicht möchte lässt man im Regal stehen, das an­ dere packt man in den Ein­ Der oberste Schausteller im Gespräch Albert Ritter ist Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, Erster Prinzipal der Historischen Gesellschaft Deutscher Schausteller und Präsident der Europäischen Schausteller-Union 38

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